Wenn in 2020 das Forum Wissen die Tore für die ersten Besucher öffnet, ist die Stadt Göttingen nicht nur um ein Museum oder eine Forschungseinrichtung reicher. Die Eröffnung des Wissensforums markiert darüber hinaus zum einen den Abschluss eines jahrelangen Prozesses, zum anderen verfügt Göttingen dann über einen Ort, an dem Wissen, Forschung und Dialog so miteinander verwoben sind wir nirgends sonst.
Um den Beginn der Idee eines neuen Wissensmuseums in Göttingen zu definieren, muss man mindestens ins Jahr 2012 zurückgehen. In diesem Jahr bewarb sich die Universität Göttingen erneut dafür, den ehrenvollen Titel einer Elite-Universität führen zu dürfen. Teil des Bewerbungskonzeptes war besagtes Museum, damals noch als „Haus des Wissens“ für das alte Auditorium Maximum in der Weender Landstraße vorgesehen. Doch die Bewerbung verlief nicht im Sinne der Göttinger, der Elitestatus wurde verloren und damit auch die Fördermittel zur Umsetzung des Museumskonzeptes.
„Wenn wir damals erfolgreich gewesen wären, dann hätten wir das Projekt sehr schnell umsetzen können“, verrät Dr. Marie Luisa Allemeyer – Leiterin der Zentralen Kustodie der Universität. Trotz des negativen Ausgangs des Auswahlverfahrend sagte das Land Niedersachsen wegen der besonders positiven Aussagen der Gutachter zu diesen Komponenten der Bewerbung einen Teil der benötigen Mittel zu, allerdings nur für den Lehr- und Forschungszweig und die Infrastruktur des Projekts, nicht aber für das parallel geplante Museum. Die Präsidentin der Universität entschied sich jedoch dafür, das Projekt beisammen zu lassen, gerade weil die Kombination aus Forschung, Lehre und Öffentlichkeit gerade das Besondere sei.
„In diesem Moment hätte es schiefgehen können. Als die Entscheidung klar war, dass das Konzept zusammenbleibt, war die Idee des Forums Wissen gerettet.“
Aber was erwartet die Besucher eigentlich im ehemaligen Zoologischen Institut?
„Wir werden in unserer Gesellschaft mit sehr vielen angeblichen Wahrheiten konfrontiert“, so Dr. Allemeyer. „Wir wollen hier klarmachen, wie eigentlich eine wissenschaftlich fundierte Wahrheit entsteht, was eine gesicherte und was eine nicht gesicherte Wahrheit ist. Wir wollen auch klarmachen, dass es nie nur eine Wahrheit gibt. Und wir wollen Orientierungswissen geben.“
Um die Orientierung zu wahren, kommt man um einen Blick auf die geografische Verteilung des Göttinger Wissens nicht herum. Die Universität Göttingen verfügt über 70 verschiedene, teils sehr renommierte akademische Sammlungen und Teilsammlungen aus dem ganzen Fächerspektrum der Wissenschaft, von Archäologie bis Zoologie. Diese sind mit ihren 30 Standorten über das ganze Stadtgebiet verteilt und sollen auch weiterhin zu 90 bis 95 Prozent so dezentral bleiben.
„Nur ein Teil der Objekte kommt in das Forum Wissen“, erklärt Dr. Allemeyer. Das Forum bildet somit so etwas wie einen Mikrokosmos. Während in den Instituten weiterhin monodisziplinär geforscht und auch ausgestellt wird, treffen im Forum Wissen die Disziplinen unmittelbar aufeinander.
„Wir haben eine Rollenteilung. Zum Beispiel ist in der archäologischen Forschung keiner so gut wie die Archäologen. Also sollen sie gerne auch weiterhin ein archäologische Ausstellungen in ihrem Haus machen, mit den Dingen forschen und mit den Dingen auch lehren. Unsere Aufgabe ist es, das Interdisziplinäre zu forcieren. Eine Ausstellung, in der zum Beispiel Gipse, Gemälde und vielleicht noch Regenwürmer zusammen zu sehen sind, gibt es nur im Forum Wissen. Dass Objekte aus verschiedenen Sammlungen auch mal nebeneinanderstehen. Darin liegt das Neue. Wir wollen die Fächer dazu bringen, miteinander zu denken und zu arbeiten.“
Das Forum will also in seiner Rolle als universitäre Einrichtung den Wissensaustausch der Institute fördern und erhofft sich davon neue Impulse und Sichtweisen für wissenschaftliche Fragestellungen. Ein Gewinn für alle Beteiligten, davon ist die Projektleiterin überzeugt.
„Für Besucher wird das dann in der Ausstellung sichtbar. Es ist aber ein Prinzip, das nicht nur die Ausstellung betrifft, da wir im Forum Wissen eine Infrastruktur schaffen wollen, die auch neue Formen des Lehrens und Forschens ermöglicht.“
Die Grundrisse des Forums Wissen
Herzstück und auch erster Anlaufpunkt im räumlichen Konzept des Forums Wissen ist das Sammlungsschaufenster mit integriertem Objektlabor im Eingangsbereich. Gerade das Schaufenster soll nach Errichtung als überdimensionales begehbares Inhaltsverzeichnis dienen und das Panorama widerspiegeln, das die universitären Sammlungen bieten und das den Besucher in den vielen Räumen des ehemaligen Zoologischen Instituts erwarten wird. Nach welchem Prinzip die Sammlungen im Sammlungsschaufenster aufgereiht sein sollen, wird noch zu diskutieren sein. Naheliegend wäre der Versuch, sie nach thematischer Nähe aufzureihen, etwa die zoologischen Sammlungen nebeneinander gefolgt von den botanischen, gefolgt von den paläontologischen und so fort. Da aber gerade die Frage „wie wird Wissen organisiert“ im Vordergrund steht, könne man sich laut Dr. Marie Luisa Allemeyer auch eine ganz andere Sortierung vorstellen – etwas provokativ gedacht, könnte das sogar eine alphabetische Reihenfolge sein. Eine weitere interessante Frage ist, welche Objekte dann für jede Sammlung ausgewählt werden. Auch dies wird – in enger Abstimmung mit den Sammlungsverantwortlichen der jeweiligen Fächer – erst im weiteren Verlauf entschieden.
„Die einen sortieren vielleicht nach Größe, die anderen sortieren nach Verwandtschaft, wieder andere nach Gewicht. Das Thema Taxonomie wird auf diese Weise – sicher auch mal augenzwinkernd – im Sammlungsschaufenster angesprochen.“
Wiederkehrende Besucher können anhand der Ausstellungsstücke in der riesigen Vitrine schnell feststellen, was sich in der Ausstaffierung der Ausstellung seit dem letzten Besuch geändert hat. Fest steht schon jetzt, dass zumindest dieser Bereich des Forums Wissen kostenlos zugänglich sein wird, sodass Besucher selbst zu einer nur kurzen Stippvisite angeregt werden. Es ist beinahe so, als würde man sich die Speisekarte eines Restaurants ansehen, um zu entscheiden, ob man sich an einen Tisch setzen will oder nicht. Nur dass es sich hier lohnt, regelmäßig einen Blick auf das Menü zu werfen. Denn die Dynamik ist neben der Interdisziplinarität ein weiterer Eckpfeiler des Forums und vor allem auch des Schaufensters. Es soll die Wissenschaften abbilden, die selbst in stetigem Wandel sind. Neue Erkenntnisse kommen hinzu, anderes wird widerlegt.
„Veränderung ist ein Markenzeichen der Wissenschaft. Deswegen muss ein Museum über das Wissen-Schaffen auch genau diese Dynamik haben. Das macht aber den Prozess, ein Konzept zu entwickeln, natürlich etwas anspruchsvoller.“
Die zweite Besonderheit des Eingangsbereichs liegt in der Vermischung von Museumsbesuch und aktiver Lehre. Auch sie ist Auslöser für Änderungen im gläsernen Inhaltsverzeichnis des Museums. Inmitten des rechteckig angeordneten Schaufensters wird ein Objektlabor positioniert, in dem regelmäßig Seminarleiter Wissen an ihre Studenten weitergeben, indem an realen Objekten gearbeitet wird, die zum Seminarthema passen. Und diese stammen dann jeweils aus dem eigens für dieses Seminar bestückten Schaufenster, aber möglicherweise aus völlig unterschiedlichen Disziplinen. Es ist darüber hinaus geplant, dass der Besucher über Monitore und Lautsprecher an dem Seminar im Innern teilhaben kann. Auch dieses Detail gehört zu einem zeitgemäßen Ausstellungsaufbau.
Was haben eine Badewanne, eine Reise, ein Probenraum und der berühmte Holzweg gemeinsam?
Auf den ersten Blick rein gar nichts. Und doch: Sie können mitunter allesamt Quell neuen Wissens sein. Und deshalb sind sie wesentlicher Teil des innovativen Raumkonzepts des Göttinger Museums. Denn im inhaltlichen Fokus der dann 1.300 Quadratmeter umfassenden Basisausstellung steht nicht nur das Wissen selbst, sondern insbesondere die Vermittlung und Beantwortung der Frage, wie und wo Wissen überhaupt entsteht. Und das ist eben nicht nur in einem wissenschaftlichen Umfeld wie einem Labor der Fall. Im Forum Wissen soll daher keiner der 13 Räume dem anderen gleichen. Der Museumsbegriff leidet bisweilen darunter, dass der Museumsbesuch durch Eintönigkeit in Gestaltung und Aufbau sowie durch die nahezu obligatorische Stille schnell als langweilig empfunden wird. Allein das Schlendern über einen Marktplatz oder die Atmosphäre einer Bibliothek – beides geplante Räume im Forum – können Ideen und Wissen zum Leben erwecken. Vor allem auch durch den Dialog mit anderen. Auch dieser soll durch Aufbau und Inhalt der Basisausstellung forciert werden.
In anderen Teilbereichen des Forums Wissen greift eine andere Art der Dynamik: Eine Fläche von rund 370 Quadratmetern ist für wechselnde Sonderausstellungen reserviert, die sich dann über einen bestimmten Zeitraum gezielt nur einem Wissensthema widmen. Dazu soll das Forum Wissen mit dem Regionenraum einen weiteren speziellen Bereich bieten, in dem sich kulturelle Anziehungspunkte der Region – zum Beispiel die großen, oder auch kleineren Museen der Region zusammenfinden und gemeinsame Ausstellungen gestalten können, in denen es um den Transfer von Wissen zwischen Universität und Umland geht.
„Es ist aber kein Tourismusraum. Statt Flyer auszulegen, wollen wir auf Wissen bezogene Ausstellungen zeigen, die aber beschickt werden durch die großen Museen der Region.“
Und wer schließlich einen Ort sucht, in dem die Geschichte der Universität Göttingen und besonders ihrer Sammlungen gezeigt wird, der wird auch fündig: Denn innerhalb der dreizehn „Räume des Wissens“ wird auch einer dem „Königlich Academischen Museum“ gewidmet sein, das 1773 gegründet wurde und schon rasch über 12.000 Objekte aus, wie es damals hieß, „allen Reichen der Natur“ enthielt. Dr. Allemeyer schränkt ein: „Wir wollen kein Uni-Museum sein, sondern ein Wissensmuseum. Aber das Academische Museum ist dennoch ein wichtiger Bezugspunkt für uns, denn hier liegen die Wurzeln vieler der heute noch existierenden Sammlungen der Universität. Sie waren übrigens im Academischen Museum noch nicht nach den heute gültigen Fächern unterteilt – auch insofern finden hier daher einen Bezug für das Forum Wissen.“
Und diese mittlerweile etablierten Fächergrenzen soll das Forum Wissen nach seiner Errichtung zumindest kurzzeitig für die Besucher wieder aufheben. Technisch soll dies in einer Form realisiert werden, die seinesgleichen sucht. Das Projektteam nennt dieses System „Digital Layer“. Besucher des Museums werden nach der ersten Orientierung, zum Beispiel über das Sammlungsschaufenster, eine digitale Tour machen können, indem sie von einem Navigationsgerät an jene Ausstellungsstücke herangeführt werden, die Teil der gewählten Tour sind. Das könnten beispielsweise die Göttinger Nobelpreisträger oder Frauen in der Wissenschaft sein. Diese neue, moderne Form des Museumsbesuchs soll aber für jede Altersgruppe simpel und schlüssig bleiben und keinesfalls obligatorisch sein. Parallel soll es daher ebenfalls ein klassisches, analoges Leitsystem geben.
In 2016 wurde in Zusammenarbeit mit einen erfahrenen Ausstellungsmacher das Grobkonzept erstellt, wie es zum Beispiel auch in der offiziellen Broschüre des Forums nachzulesen ist. Für die Zentrale Kustodie unter der Leitung von Dr. Marie Luisa Allemeyer steht nun das Feinkonzept auf dem Programm. Hilfe bekommt die Universität dabei wieder von Ausstellungsexperten. Auch wenn die Themen der Räume schon jetzt festgelegt werden können, wird es noch eine Weile dauern, bis die genaue Aussage des jeweiligen Raumes und die dafür genutzten Ausstellungsstücke aus den unterschiedlichen Disziplinen feststehen. Dafür bleibt den Verantwortlichen aber auch noch etwas Zeit.
Für Göttingen als Universitätsstadt und als Kulturstandort sieht die Leiterin der Zentralen Kustodie eine ganze Reihe von positiven Effekten.
„Das eine ist, dass wir als Universität für Studierende und Lehrende attraktiv sein wollen. Selbst wenn die Zahlen der Studierenden, die zu uns kommen wollen, sehr gut sind – auf diesen Lorbeeren darf man sich aber nicht ausruhen. Das Forum Wissen wird die Attraktivität der Uni erhöhen, weil es etwas Besonderes ist. Darüber hinaus haben Wissenschaftler dort dann die Möglichkeit, interdisziplinär zu forschen und dann über die Ausstelllungen ihre eigenen Ergebnisse zu präsentieren. Wir sind überzeugt davon, dass das Forum Wissen das Forschen und Lehren – Kernaufgaben der Universität – bereichern wird. Hinzu kommt aber auch, dass die Universität und auch die großen Unternehmen der Stadt und Region das Problem haben, dass zum Beispiel Professoren nicht nach Göttingen kommen, weil sie die Stadt kulturell nicht attraktiv genug finden. Wir sind aber davon überzeugt, dass das Forum Wissen da einen Unterschied machen wird. Dass man auf die Mental Map der Leute kommt.“
In der Zentralen Kustodie hat man etwas Großes vor. Etwas, dass dem kulturellen Leben in der Stadt Göttingen sehr gut tun kann. In etwas über einem Jahr wissen wir dann mehr.
Foto oben: © Martin Liebetruth; Grundrisse: © chezweitz
Dieser Artikel erschien im Original bereits Ende 2017, einige Passagen sind daher gekürzt worden.