Im Rückblick auf das Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes II zum 01.01.2017, das von der Politik als Meilenstein in der Verbesserung der Bedingungen für pflegebedürftige Menschen hochgelobt wurde, können aus heutiger Sicht ein paar entscheidende Feststellungen getroffen werden.
Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist eine Abkehr von dem bisherigen Ansatz, die gesundheitlichen Einschränkungen und Probleme von pflegebedürftigen Menschen als Grundlage für die Zuordnung zu einer Pflegestufe in der Pflegeversicherung zu nehmen. Das neue System sieht einen ganz neuen Blickwinkel auf die Menschen vor. Darin werden die Fähigkeiten und Ressourcen der Menschen in den Vordergrund gestellt, das bedeutet, man betrachtet, was ein gesundheitlich eingeschränkter Mensch noch selbst erledigen kann und stellt dann den Hilfebedarf, der notwendig ist, als Grundlage für die Zuordnung zu einem Pflegegrad fest. Aufgrund dieser grundlegenden Änderung der Sichtweise mussten die kompletten, bis zum 31.12.2016 geltenden Einstufungskriterien in einer neuen Begutachtungsrichtlinie entwickelt und festgelegt werden. Hier fanden vor allem auch die Auswirkungen des Vorliegens einer dementiellen Erkrankung größere Berücksichtigung.
Die neuen Richtlinien waren die Voraussetzung dafür, dass die Menschen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten, nicht wie früher eine Pflegestufe, sondern ab 01.01.2017 einen Pflegegrad erhalten können. So wurde aus dem System der Pflegestufen 1 bis 3+ die Pflegegrade 1 bis 5. Die Bewohner einer vollstationären Einrichtung erhielten „automatisch “ eine Zuordnung zu einem neuen Pflegegrad. Beispielsweise erhielt ein Bewohner, der in Pflegestufe 2 eingruppiert war, automatisch den Pflegegrad 3. Lag bei dem Bewohner eine eingeschränkte Alltagskompetenz – z. B. in Form einer beginnenden dementiellen Erkrankung – vor, erhielt er, wenn Pflegestufe 2 vorlag, den Pflegegrad 4. Da die neuen Pflegegrade durch die Pflegeversicherung mit deutlich höheren Leistungen hinterlegt waren, sanken die Eigenanteile, die ein Bewohner in einer Pflegeeinrichtung zu tragen hatte, um bis zu 400 Euro monatlich, je nach Pflegegrad. So profitierten am 01.01.2017 vor allem viele Menschen und auch der Sozialhilfeträger im finanziellen Bereich.
Aus Sicht der Einrichtungen hatte das Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes II weniger positive Auswirkungen. Hatte die Politik im Vorfeld des Inkrafttretens stets publik gemacht, dass die Situation in der Altenpflege in Sachen Personalausstattung und Finanzierung besser wird, war am 01.01.2017 davon nichts übrig geblieben. Die vereinbarten Personalschlüssel wurden durch ein kompliziertes Rechensystem umgerechnet, die Anzahl der Mitarbeiter, die letztendlich die gleiche Arbeit wie vorher verrichteten, blieb im besten Fall gleich. Teilweise hat sich die Anzahl sogar reduziert. Auch im Bereich der finanziellen Situation hat sich für die vollstationären Einrichtungen nichts Wesentliches verändert. Die Gesamterträge blieben gleich. Die Eigenanteile der Bewohner reduzierten sich, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhöhten sich, die Gesamteinnahmen blieben somit unverändert. Aus Sicht der vollstationären Pflege war die Einführung des Pflegestärkungsgesetzes II daher ein „durchlaufender Posten „. Leider hat sich für die Einrichtungen, die dringend eine bessere Personalausstattung benötigen, nichts getan. Im Rückblick ein ernüchterndes Ergebnis.
Als Folge des Inkrafttretens des Pflegestärkungsgesetzes II mussten alle Verbände und Kostenträger, die für die Umsetzung von Vorgaben für die Durchführung der Pflege und die Einhaltung von Rahmenbedingungen zuständig sind, einen neuen Landesrahmenvertrag für stationäre Pflege nach § 75 SGB XI erstellen. In diesem Rahmenvertrag werden die Details für die zu leistenden Pflege- und Betreuungstätigkeiten, die Abrechnung, die Personalausstattung und vieles mehr geregelt. Es spricht nicht gerade für die Beteiligten, dass im März 2018 noch nicht abzusehen ist, wann der neue Landesrahmenvertrag nach § 75 SGB XI in Kraft treten wird. Die Akteure rechnen mit Ende 2018 oder Anfang 2019.
Für die Einrichtungen bedeutet dies in der Praxis, dass die Planung für die Zukunft mit sehr viel Unsicherheit geschieht. Auch hier letztendlich für die Mitarbeiter in der Altenpflege eine große Enttäuschung, hatten doch alle mit dem Pflegestärkungsgesetz II und der Umsetzung der damit zusammenhängenden Verordnungen auf große, positive Veränderungen gehofft.
Fachkräftemangel in der Altenpflege
Seit Jahren spitzt sich die Situation für die Mitarbeitenden in der Altenpflege zu. Ständig steigende Anforderungen, z. B. im Bereich der Bürokratie in der Pflege, führen zu einer immer größer werdenden Verdichtung der Arbeit. Die gleiche Anzahl an Mitarbeiter hat stetig mehr Aufgaben zu erfüllen. In der stationären Pflege ist eine deutliche Veränderung bei den gesundheitlichen Einschränkungen beim Einzug zu verzeichnen. Die Menschen bleiben aufgrund der Politik „Ambulant vor Stationär“ wesentlich länger zu Hause. Natürlich ist dies für viele Menschen, die pflegebedürftig werden, gut. Für eine stationäre Einrichtung, die für die Menschen immer eine Alternative bleiben wird, ist diese Entwicklung genau zu betrachten. Die Auswirkungen sind vielschichtig:
1. Durch einen späten Einzug in eine stationäre Einrichtung fällt es schwer, sein Lebensumfeld zu gestalten, z. B. Kontakte zu knüpfen, an Veranstaltungen teilzunehmen, eine gute Gemeinschaft erleben zu können.
2. Das lange Verbleiben in der Häuslichkeit kann zu Rückzug und Vereinsamung führen. Die Familie ist oft nicht vor Ort, die Bekannten und Freunde werden weniger. Das Warten auf die Besuche des Pflegedienstes wird zum Tagesinhalt.
3. Die Mitarbeiter einer stationären Einrichtung werden mit immer größer werdenden Herausforderungen bei der Durchführung der Pflegetätigkeiten konfrontiert. Hier kann als Beispiel die zunehmende Problematik des herausfordernden Verhaltens bei Menschen, die an Demenz erkrankt sind, genannt werden. Dies führt zu einer zunehmenden Belastung im Bereich der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden.
Für die Zukunft besteht große Sorge, genügend Menschen zu gewinnen, die den sehr schönen und erfüllenden Pflegeberuf ergreifen wollen und bereit sind, unter den herrschenden strukturellen Voraussetzungen, für die Menschen, die versorgt werden müssen, da zu sein. Das Image des Pflegeberufs in der Öffentlichkeit ist nicht gut. Wenn heute ein Jugendlicher erzählt, dass er eine Ausbildung als Altenpfleger machen will, wird er belächelt oder sogar ausgelacht.
Wir brauchen große Anstrengungen in der Politik, der Gesellschaft und allen, die mit dem Pflegeberuf zu tun haben, dass dieser Berufszweig wieder Wertschätzung und Achtung erfährt. Dazu ist es notwendig, die Strukturen für den Beruf zu verbessern, das heißt, dafür zu sorgen, dass die viele Arbeit auch zu leisten ist. Die personelle Ausstattung der Einrichtungen muss verbessert werden. In Konsequenz heißt dies, die Personalschlüssel zu erhöhen, um sicherzustellen, dass jemand, der diese Arbeit wählt, auch jedes zweite Wochenende frei hat, dass freie Tage unter der Woche auch freie Tage bleiben, ohne für erkrankte Kollegen einspringen zu müssen. Und vor allem: Auch Zeit für die pflegebedürftigen Menschen zu haben. Zeit, auch einmal ein Gespräch führen zu können, ohne dass alle Pläne durcheinander geraten.
Diese Strukturen zu verändern heißt, dass die Pflege teurer wird. Mehr Mitarbeiter heißt höhere Personalkosten, die die Einrichtungen bezahlen müssen. Der Effekt sind steigende Heimkostensätze und damit höhere Eigenanteile der Bewohnerinnen und Bewohner. Die festgeschriebenen Leistungen der Pflegeversicherung müssten in einem hohen Maße nach oben angepasst werden, will man diesen Effekt vermeiden. Eine Lösung für die beschriebene Problematik muss schnellstmöglich erfolgen. Betrachtet man sich die Zahlen der demografischen Entwicklung und vergleicht diese mit der geschätzten Anzahl an Menschen, die in Zukunft den Pflegeberuf ausüben wollen, wird sich in sehr kurzer Zeit eine Situation einstellen, in der pflegebedürftige Menschen, egal ob ambulant und stationär nicht mehr versorgt werden können. Es gibt bereits erste Zeichen, dass ambulante Dienste Patienten ablehnen müssen und auch stationäre Einrichtungen die Zimmer nicht mehr belegen dürfen, da zu wenig Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Alarmierende Zeichen, die eine umfassende Regelung erfodern.