Die neue Spielzeit im Deutschen Theater Göttingen wirft bereits ihre Schatten voraus, obwohl ab 15. Juni mit „Lazarus“ noch ein letztes Highlight der aktuellen Saison auf die Zuschauer wartet. Im Rahmen einer Pressekonferenz machten die Verantwortlichen nun aber schon einmal Appetit auf die neuen Bühnenstücke, die unter dem Motto „Liebe Dein Theater“ stehen werden.
Auch mal ungewöhnliche Spielstätten auszuprobieren, gehört schon seit Längerem zum dramaturgischen Inventar der Verantwortlichen des Deutschen Theaters Göttingen. In den vergangenen beiden Jahren wurde beispielsweise in der Tiefgarage des Schauspielhauses aufgeführt. In der kommenden Spielzeit wird nun die große Fridtjof-Nansen-Villa mit ihrer bewegten Geschichte kurzerhand zur unwirklichen Insel Lemnos umfunktioniert. „Philoktet“ von Heiner Müller heißt das Stück, das bereits am 24. August Premiere feiern wird. Odysseus und Neoptolemos kehren auf die Insel Lemnos zurück, um den zum Sterben zurückgelassenen Philoktet wieder zu ihrem Kriegsgefährten zu machen. Doch dieser sinnt auf Rache. In Müllers Versdrama werden Opfer zum Wohle der Gesellschaft und harte moralische Entscheidungen zum Brennpunkt.
Der offizielle Startschuss für eine neue, abwechslungsreiche Saison im großen Haus des Deutschen Theaters fällt dann am 21. September mit dem Stück „Vögel“ von Wajdi Mouawad. Der Kanadier mit libanesischen Wurzel verarbeitet und verknüpft in dieser zeitgenössischen griechischen Tragödie den Nahost-Konflikt – stellvertretend für alle Kriegsherde auf der Welt – mit den komplexen Familienverhältnissen seiner Protagonisten, einer arabisch-stämmigen US-Amerikanerin und einem Deutschen jüdischen Glaubens.
Shakespeares „Was ihr wollt“ lädt dann ab 12. Oktober Theaterbesucher zu einem amüsanten Verwirrspiel um die schiffbrüchige Viola ein, die sich in der Folge als Mann ausgibt. Intendant Erich Sidler stellte in der Pressekonferenz zur neuen Spielzeit fest, dass Shakespeares Stück die Gender-Diskussion unserer Zeit gewissermaßen vorweggenommen habe. „Wir haben hier ein Stück, das die #MeToo-Debatte eins zu eins aufnimmt, aber eben spielerisch und lustvoll“, erklärte der Schweizer.
Im DT-2 wird bereits zwei Tage vor dem großen Haus eine Premiere als Eröffnung gefeiert. Im kommenden Schuljahr gehört „Iphigenie auf Tauris“ von Johann Wolfgang von Goethe zum Stoff des Deutsch-Abiturs. Aus diesem Grund, betonte Sidler, wolle man diesen „Monolithen von Text“ ab dem 19. September in der Versfassung dem jüngeren Publikum so zugänglich wie möglich machen. „Wir achten immer darauf, dass wir Stoffe im Programm haben, die wichtige Themen für die jeweilige Altersgruppe ansprechen“, fügte die Leiterin des Kinder- und Jugendprogramms Sonja Bachmann hinzu. Das geschehe seit Jahren erfolgreich mit einer großen Vielfalt an alten, aber auch zeitgenössischen Texten.
Das Ende einer Spielzeit im Sommer bedeutet nicht nur eine Veränderung im Spielplan, sondern meist auch eine Veränderung im Ensemble. So wird es auch in diesem Jahr in Göttingen sein. Nach den Sommerferien muss Intendant Erich Sidler dann auf die beiden jungen Schauspielerinnen Christina Jung und Dorothée Neff verzichten, deren schauspielerische Weiterentwicklung während ihres Göttinger Engagements Sidler im Rahmen der Pressekonferenz noch einmal hervorhob. Dritter Abgang ist ihr männlicher Kollege Benjamin Kempf.
Die nötige Verstärkung für das Team erhält das Deutsche Theater zum einen durch Anna Paula Muth, die bereits seit Februar im Rahmen der Kooperation mit der Hochschule in Hannover in „Meister und Margarita“ ihr Schauspieltalent auf Göttinger Bühne unter Beweis stellt. Aus Leipzig stößt Marina Poltmann ebenfalls direkt nach ihrem Studienabschluss zum DT-Aufgebot. Die Lücke im Männerensemble schließt der Hamburger Bastian Dulisch, der im Sommer vom Landestheater Linz nach Göttingen wechselt.
Insgesamt kommen 21 Stücke in der Spielzeit 2019/20 neu auf die drei Bühnen des Deutschen Theaters, darunter zwei Uraufführungen und mit „Jim Knopf und die Wilde 13“ wieder ein vorweihnachtliches Kinderstück. Dazu bietet man über 20 weitere als Wiederaufnahmen auch in der kommenden Saison noch einmal an, wie etwa Kästners „Fabian“, Shakespeares „Die Tragödie des Macbeth“ und Frischs „Biografie: Ein Spiel“.
Aber nicht nur durch ein reichhaltiges Menü an Stücken für jeden Geschmack soll die Liebe für das Theater geweckt oder wiedererweckt werden, auch politisch will man verstärkt Gehör finden. Denn die Kürzung der Mittel für Schauspielhäuser und Orchester durch das Land Niedersachsen bedroht ein großes Stück Kultur und nicht zuletzt auch Existenzen. Während man mit einem vielfältigen Premierenangebot in künstlerischer Form auf der Bühne kulturelle Zeichen setzen will, versucht man gleichzeitig haushaltspolitisch nicht auf das Abstellgleis zu geraten. Mit einer neuerlichen erfolgreichen Petition unter dem Motto „#rettedeintheater reloaded“ hofft man daher auf ein Umdenken in der Politik und einen nachhaltigen Schutz der Kulturlandschaft auf den Bühnen des Bundeslandes.
Dass auch das DT hingegen umdenken kann, hat es in der Vergangenheit bereits bewiesen. Und auch in der neuen Spielzeit verstehe sich das Theater wieder als „offenes Theater, das nicht nur Kunst von der Bühne macht“, erklärt Sidler. Das Deutsche Theater Göttingen soll auch Forum für Diskussionen sein und statt dem ständigen Drang nach Weltveränderung ab und an auch mal das Feiern in den Vordergrund rücken. Zudem wolle man die „Kernkompetenz des Erzählens und Spielens in Zukunft in neue Gefäße unterbringen.“ Ob und wie das gelingt, wird sich ab September auf den diversen Bühnen im und rund um das Deutsche Theater zeigen.
Foto oben: © Thomas Müller